Lesenswert: Intelligente Irrtümer

© teracreonte – Fotolia.com
Führt ein hohes Bildungsniveau automatisch zu mehr Wohlstand? Erhöht sich das Betriebsergebnis, wenn die Mitarbeiter zufrieden sind? Lars Vollmers Gegenthese.
erschienen: 16.06.2015

Hohes volkswirtschaftliches Bildungsniveau führt zu prosperierender Wirtschaft. Wie stark diese Glaubensvorstellung vor allem in den westlichen Gesellschaften verwurzelt ist! Und die gesamte Entwicklungspolitik basiert sogar darauf: Erstmal die Bildung anstoßen, dann wird die Wirtschaft schon folgen. Irgendwie klingt die These ja auch logisch. Ich stimme ihr trotzdem nicht zu. Wie wäre es mit dieser Gegenthese?: Eine prosperierende Wirtschaft erlaubt es der Gesellschaft, mehr Geld in Bildung zu investieren. Die wirklich wichtige Frage ist hier nämlich, was denn wirklich zuerst kommt – die florierende Wirtschaft oder die hohe Bildung?

Das alte Rom hatte erst eine funktionierende Wasserversorgung, bevor Schulen und Akademien wie Pilze aus dem Boden schossen. Länder wie Korea und Malaysia wurden erst reich, bevor sie anfingen, Universitäten zu gründen. Aktuell ist dieselbe Tendenz auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu beobachten. In vielen Ländern Zentralafrikas sieht es dagegen eher düster aus. Obwohl dort Millionen für Bildungssysteme ausgegeben wurden – natürlich in der Hoffnung, dadurch die Wirtschaft anzukurbeln – steht diese teilweise schlechter da als vorher. Und die nagelneuen Schulgebäude verfallen, weil sich wegen der allgegenwärtigen Armut niemand um sie kümmern kann.

Bildung bewirkt keine florierende Wirtschaft

Ein hohes Bildungsniveau bewirkt also eine prosperierende Wirtschaft? Es scheint eher genau umgekehrt zu sein: Erst eine Gesellschaft mit prosperierender Wirtschaft kann sich ein hohes Bildungsniveau überhaupt leisten, es pflegen und erhalten. Das ist jetzt kein Plädoyer gegen Bildung. Im Gegenteil: Ich versuche, meinen Kindern Spaß am Lernen zu vermitteln. Denn ohne Bildung gibt es natürlich keine gebildeten Menschen, die eine Wirtschaft weiter vorantreiben können. Nur: Mit einer allzu positiven Wirkung auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes sollten wir nicht rechnen.

Worauf ich nun eigentlich hinaus will, ist der „intelligente Irrtum“, der hinter der anfangs genannten Glaubensvorstellung steckt: Phänomenen, die miteinander korrelieren und auch kausal zusammenhängen, eine falsche Wirkungsrichtung zuzuschreiben. Anstatt zu denken, A führe zu B, zu denken, B führt zu A. Soll heißen: Das eine Phänomen ist die Ursache für das andere. Die beiden Phänomene in Zusammenhang zu bringen, ist nicht falsch. Aber die Richtung, in der sie miteinander in Verbindung gebracht werden, schon. Daher der „intelligente Irrtum”. Ein „dummer Irrtum“ wäre es dann, wenn aufgrund einer Korrelation auch eine Kausalität zugeschrieben wird, die es de facto gar nicht gibt.

Falsche kausale Vernetzungen

Dass dieser Irrtum naheliegt, ist verständlich. Wenn die falsche kausale Vernetzung beispielsweise wahnsinnig plausibel klingt oder moralisch so schön vertretbar ist. Wie im Fall der Wirtschaft und der Bildung. Ja, da wird zwar schlau gedacht, aber eben dennoch falsch.

Solche intelligenten Irrtümer gibt es in Unternehmen an jeder Ecke: Wenn die Mitarbeiter zufrieden sind, erhöht sich das Betriebsergebnis. Klingt ja erst einmal logisch und auch erstrebenswert, aber wie wäre es stattdessen mit: Ein hoher wirtschaftlicher Erfolg der Firma wirkt sich außerordentlich positiv auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter aus. Beim Fußball würde ja auch keiner sagen, dass die Gewinner-Mannschaft deshalb gewonnen hat, weil sie so zufrieden ist. Nein. Sie ist zufrieden, weil sie gewonnen hat. Kausalität: ja. Aber eben andersrum.

Blöd nur, dass der Irrtum so intelligent getarnt ist. Erinnert mich irgendwie an eine Stabheuschrecke, die im Terrarium zwischen den Ästen nicht zu erkennen ist. Seien Sie also vorsichtig, wenn Ihnen jemand kommt mit: „Das kommt daher, dass …“ Stellen Sie sich immer die Frage nach der Henne und dem Ei. Denn: An fiesen Fallen für intelligenten Irrtum mangelt es nicht, auch in Ihrem Umfeld.